Vielleicht wird etwas Wunderbares geschehen…

24. September. 2022

foto  Matteo Taddeo

Dunkel ist es in der Casa Anatta auf dem Monte Verità. Zu kostbar sind die Originalkostüme von Charlotte Bara, zu delikat die historischen Bild- und Schriftdokumente, die Harald Szeemann für die Ausstellung “Monte Verità – die Brüste der Wahrheit” zusammengetragen hat. Das Tageslicht darf die Geschichte hier nicht mehr berühren. Casa Anatta, das Haus, das einst dem inspirierten Zusammensein diente, ist nun ein Museum. Verbunden mit dem Vergangenen, und trotzdem durchdrungen von einem Geist, der Konventionen herausforderte und ihnen die Stirn geboten hat.

Wir haben uns dafür entschieden, für die Performance die Museumsbeleuchtung nicht zu benutzen. Nur kleine Lichtquellen werden dem Publikum etwas Orientierung geben.
Ansonsten liegt im Moment fast alles im Dunkeln. Ausser Anna. Sie liegt auf der Treppe, das Gesicht verborgen in einer Wolke aus Licht unter einem Stoff. Zwischen den nackten Beinen eine Pflanze, lebendig und rot beleuchtet. Ein Bild voller Geheimnis, pulsierendem Regenerieren, verspielt und von einer unbekümmerten, natürlichen Weiblichkeit. Ich bin drei Zimmer von ihr entfernt, und höre wie das Publikum im Atrium sich vor Anna sammelt.

Und Anna beginnt zu atmen. Tief und voll. Ich weiss ihr nackter Bauch über der Pflanze bewegt sich auf und ab. Gelassen und ruhig. Stark. Sie beginnt durch ein kleines Megaphon einzelne Laute, Buchstaben, Wortfetzen zu artikulieren. Das ist mein Zeichen. Ich halte in meiner Hand eine kleine Shrutibox, wie eine Handtasche. Ansonsten trage ich einen schwarzen Mantel, einen schwarzen Schleierhut. Schwarze Schuhe mit Absatz die ich mit einer kleinen Lampe am Knie beleuchte. Bei jedem Schritt gibt die Shrutibox einen willkürlichen Ton von sich, ich summe dazu. Leicht. Ich trage schwarz. Ich will das Schwarz nach aussen tragen damit es Innen hell wird. Etwas Leichtes soll entstehen mit jedem Ton den ich singe, mit jedem Geräusch das ich mache. Ich trete ins Atrium. Bewege mich zwischen dem Publikum, beobachte genau was mit jeder Vibration passiert. Spüre, wie die Leute versuchen, zu verstehen und zu folgen. Spüren sie auch, dass ich, dass wir in Resonanz sind? Das wir ein Erlebnis, einen Moment teilen, und je mehr sie sich darauf einlassen, umso intensiver öffnet sich die Zeit?

Yara öffnet eine kleine Nebentüre an der Treppe und erscheint in einem Kostüm, in dem sie fast nicht zu erkennen ist. Ihr Gesicht ist zum z.T. versteckt unter einem zerlöcherten Stoff. Betont riesig ihre Augen, ihr Mund und noch ein Paar gemalte Augen auf ihrer Stirn. Schwarze enge Silhouette, durchsichtiges Material verhüllt und enthüllt im Dämmerlicht ihren Körper. Sie bewegt sich grotesk, komisch, unbeschwert und trotzdem führt sie jede Bewegung mit grosser Spannung und Kontrolle aus, motiviert jede Geste aus einer grossen Präsenz und einer präzisen Verbindung mit sich, dem Raum und dem Publikum.

Ich begleite ihre Bewegungen, in dem ich mit Schläuchen in ein Glas Wasser singe, blubbere und zische. Um ihr mehr Präsenz zu geben nehme ich eine Taschenlampe und beleuchte sekundenweise einzelne ihrer Körperteile. Akzente, flüchtig. Ein Schuh in der Luft, ein Finger im Raum, Dunkel. Dann plötzlich die obere Hälfte ihres Gesichtes im grellen Licht.

Ich halte in der anderen Hand einen Flötenkopf, in den ich hinein singe. Unser Rhythmus ist schnell und genau. Während dessen bewegt sich Anna langsam die Treppe empor. Enthüllt ihr Gesicht. Begegnet dem Publikum völlig natürlich und unverstellt. Yaras Bewegungen werden geschmeidiger und ruhiger. Ich ziehe mich in den Hintergrund zurück und Anna spricht. In einfachen Sätzen reflektiert sie, über das in die Welt kommen. In der Welt sein.


Darüber wie man sich in die Welt hinein befreien kann oder sein eigener Gefangener bleibt. Ich nehme wieder die Shrutibox. Lasse aus ihr wieder die unkontrollierten Töne herausfallen und rahme so ihre Aktion ein, aber nicht zu viel. Intensiv ist das Bild mit Yara auf der Treppe und Annas Stimme. Ich verschwinde im Off. Etwas später höre ich wie Anna nach oben abgeht. Noch etwas später verklappern Yaras Schritte irgendwo im Haus. Endlose Stille. Dann beginne die Leute zu klatschen. Ich schaue auf die Uhr… mir kommt es vor als hätten wir nur 15 min lang gespielt. Tatsächlich zeigt die Uhr mir 30 min an. Wir treffen uns vor dem Publikum und verbeugen uns ….. dabei geht die Lichtanlage des Museums wieder an…..

Nicoletta Mongini mit Yara Li Mennel, Natalie Peters und Anna Rigamonti


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